Abenteurer
Auf Reisen

Philosophie für Abenteurer

Mit seiner geradlinigen Ausdrucksweise und den präzisen Gedankengängen überzeugt Erling Kagge in „Philosophie für Abenteurer“ erneut.

„Ich befinde mich auf einer Art Âventiure, dachte ich kürzlich. Frühmorgens hatte ich meine Stiefel geschnürt und die Wanderstöcke eingepackt, um in den Allgäuer Hochalpen zum Schrecksee zu steigen; dieser liegt auf 1.800 Metern Höhe in einer Art Kessel, er ist umgeben von grünen Wiesen und von einer stechend türkisblauen Farbe. In das stehende Gewässer soll der Sage nach das Ross von Wotan gebannt worden sein, als die Verfechter der Christianisierung ihre Lehre über das Land stülpten und heidnische Gottheiten fortan nichts mehr zu melden hatten.

Dass zu einer Âventiure, die eine dem Roman ähnliche Dichtung aus dem Hochmittelalter bezeichnet und in die sich der Held (oder: die Heldin) auf eigene Faust begibt, auch gefahrvolle Begegnungen mit „geheimnisumwitterten Fabelwesen“ gehören, passte also. Naja, fast.

Abenteuer

Aber Bei 30 Grad 1000 Höhenmeter in dreieinhalb Stunden hochzuklettern, im Gepäck drei Flaschen Wasser und ein paar dick belegte Stullen – ein Abenteuer war das allemal. Auch knapp 170 Kilometer durch die schottischen Highlands zu wandern oder mehrere Wochen (als Frau) alleine durch Nordindien zu reisen: definitiv abenteuerlich – und nicht immer ungefährlich. In meinem Freundeskreis gibt es ebenfalls einen Hang zu derartigen Unternehmungen: Ein Freund kämpfte sich einst bis auf 5.000 Meter im Himalaya-Gebirge, ein anderer wanderte gleich komplett über die Alpen.

Was treibt uns an, uns auf derlei Expeditionen mit ungewissem Ausgang zu geben? Erling Kagge muss es wissen: Er ist bereits zum Nordpol und zum Südpol gewandert, auf dem Mount Everest war er selbstredend sowieso schon und dann hat er auch noch eine Familie gegründet – ein Abenteuer der besonderen Art. In den vergangenen Texten hat er sich mit der Stille und dem Gehen auseinandergesetzt; In seinem neuen Buch Philosophie für Abenteurer erzählt er in seiner gewohnten, aus kulturgeschichtlichen und philosophischen, mit persönlichen Erfahrungen gemischten Art von Überwindungskraft und Durchhaltevermögen. Und dem Mut, zu scheitern. Natürlich rennt er bei mir damit offene Türen ein.

Überhaupt, die Sache mit dem Mut. Ist man nur mutig, wenn man alleine tausend Höhenmeter bewältigt? „Mutig sein bedeutet, dass man eine Vorstellung davon hat, welche Folgen eine bestimmte Handlungsweise haben kann“, schreibt Kagge und fügt hinzu:

„Eines haben die meisten Abenteurer gemeinsam: Wenn wir Herausforderungen und Gefahren suchen, geht es nicht darum, mit dem Tod zu spielen – im Gegenteil. Wir suchen die Gefahr, weil das Erleben von intensiven Situationen und die Fähigkeit, diese Situationen zu meistern, wie eine Bestätigung unserer eigenen Lebensfähigkeit ist.“

Als ich im Allgäu nach insgesamt sieben Stunden Wanderung im 40-Grad-Winkel durch das quietschende Gatter lief, welches das Ende der Route markierte, stieß ich einen Freudenschrei aus. Alles tat mir weh, das Wasser war längst aufgebraucht und meine Nasenspitze glühte vor Sonnenbrand – aber ich fühlte mich so lebendig wie lange nicht mehr.

Kagges Abenteurer-Philosophie ist aber keine Anleitung, wie man sich ab sofort möglichst draufgängerisch verhält. Mit seinen Reflexionen lädt er die Leser*innen vielmehr ein, sich sozusagen an die eigene Nase zu fassen:

„Ich empfehle dir nicht, genau das Gleiche zu tun wie ich, obwohl du vielleicht dazu in der Lage bist. Es waren meine Ziele. Meine Hoffnung ist, dass dieses kleine Buch dir helfen kann – unabhängig von Alter und Geschlecht –, deinen eigenen Pol, deinen eigenen Everest, deinen eigenen Traum zu finden.“

In Siebzehn Kapiteln – sie sind recht kurz, von Fotos durchsetzt und daher eher Kapitelchen – philosophiert sich Kagge durch alles, was das menschliche Leben ausmacht; dabei haben die einzelnen Überschriften bereits Bonmot-Character: „Hör der Natur zu“, „Das Wichtigste ist, morgens aufzustehen“ oder „Es ist dennoch häufig möglich“. Und natürlich: „Niederlagen akzeptieren“.

Aber ein bisschen mehr Kühnheit im Leben darf es schon sein – denn versinken wir sonst nicht im grauen Alltagstrott? Ob sich diese in Bergsteigen und Wüstendurchquerungen, einer Existenz- oder Familiengründung äußert oder ob man einer Person mal offen und ehrlich die Meinung sagt: Mut zeigen kann viele Facetten haben.

Erling Kagge
Philosophie für Abenteurer
Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg
Insel Verlag, 2020.
Gebunden, 186 Seiten, 18 Euro

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