Dschungel
Auf Reisen

Odyssee im Regenwald

Lukas Maisel verfolgt in „Buch der geträumten Inseln“ die Reise eines todesmutigen Mannes in den Dschungel von Papua Neuginea, auf der Suche nach einem mythischen Wesen.

Schon immer hatte der Mensch – der sich als Krone der Schöpfung sieht – das Bedürfnis, die Welt zu entdecken; ihre entlegensten Flecken zu erkunden, Pflanzen, Steine und Tiere zu benennen und zu katalogisieren. Von Wissensdurst geplagte Männer – und es waren meistens Männer – wie Alexander von Humboldt oder Charles Darwin verbrachten Jahre mit ihren Forschungsreisen, deren Ergebnisse die Naturwissenschaften bis in unsere Gegenwart hinein prägen. Auch in der Literatur sind exotisch-verwunschene Orte immer wieder Schauplatz, so in Dschungel von Friedemann Karig, Stromland von Florian Wacker oder Euphoria von Lily King; letzterer gehört bis heute zu meinen Lieblingsromanen.

Robert Akeret, Hauptfigur in Buch der geträumten Inseln, sieht sich selbst in der Tradition dieser Entdecker, jedoch in einem Feld, das von der mit handfesten Fakten arbeiteten Naturwissenschaft belächelt wird und eher ins Reich von Folklore und Mythologie gehört: Die Kryptozoologie. Ihre Forschungsbereich sind Lebewesen, für deren Existenz es nur schwache Belege in Form von Sagen und Legenden gibt – wie dem Wesen auf der Schnittstelle von Mensch und Tier, nachdem Akeret sucht.

„Die Beschreibungen des gesuchten Wesens waren so zahlreich wie die Namen, die man ihm gegeben hatte. Nguoi Rung in Vietnam, Yeren in China, Alma im Altaigebirge, Chemo in Tibet, Ebo Gogo auf Flores, Batutut auf Borneo, Orang Penek auf Sumatra. Und doch hatte keiner von ihnen Eingang gefunden in die Taxonomie, jenen Zweig der Biologie, der sich mit der Ordnung alles Lebenden befasste.“

Robert Akeret will dieses Wesen in Papua Neuginea finden und es nach sich benennen, Homo Akereti, obwohl die Benennung eines Fundes nach der eigenen Person in Wissenschaftlerkreisen verpönt ist. Doch der störrische, leicht autistische Eigenbrötler will sein Vorhaben durchziehen – im Übrigen, ohne je eines dieser Fächer studiert zu haben. Mit einem Assistenten und zwei vor Ort angeheuerten Einheimischen fährt er in einem klapprigen Boot einen Fluss entlang, begleitet von Vögeln, die wie elektronische Geräte klingen und feindselig dreinschauenden Dschungelbewohnern. Soll es in dieser Gegend nicht noch immer Kannibalen geben?

Robert Akeret, so heißt es in einem Vorwort, sei nie von seiner Expedition zurückgekehrt. Der Autor selbst sei durch verschiedene Zeitungsberichte auf das Verschwinden des rätselhaften Mannes aufmerksam geworden, der dort mit anderen „manischen Suchern“ in eine Reihe gestellt worden wäre:

„Mit Gilgamesch, der Unsterblichkeit sucht in Form eines Krautes, dem heiligen Antonius, der in der Wüste Zuflucht vor den Versuchungen des Fleisches finden will; und Kapitän Ahab auf der Jagd nach dem schrecklichen weißen Wal, an den er sein Bein verloren hat.“

Ob gewollt oder ungewollt reiht sich Lukas Maisel damit ein in die Tradition jener Romane aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die der eigentlichen Geschichte ein (oft fiktives) Vorwort voran setzen, in dem der „Autor“ von einem „merkwürdigen Manuskriptfund“ berichtet; dieses wird dann, um dem Leser die grauenhaften Ereignisse nicht vorzuenthalten, im Anschluss vollumfänglich abgedruckt. Doch die Geschichte von Akeret hat sich im 21. Jahrhundert zugetragen und kaum Spuren hinterlassen. Maisel muss also erfinden und phantasieren, was die Expedition des Schweizers angeht. Etwas, dass er mit diesem gemeinsam zu haben scheint: Akerets Mutter erzählt der Auftraggeberin ihres Sohnes im Verlauf der Geschichte, dieser habe sich einst eine komplette Asienreise ausgedacht.

In diesem verwirrenden Aufbau liegt gleichzeitig Stärke und Schwäche des Romans: Zunächst nimmt uns Maisel mit in die verschlungenen Dschungelpfade Papua Neugineas, wo wir die Feuer der Indigenen zu riechen meinen und hinter jeder Ecke das mythische Mischwesen aus Mensch und Tier vermuten, auf das Akeret es in seinen eigens für die Reise angefertigten Eisenkäfig sperre. Doch dann hört dieser Erzählstrang abrupt – und in meinen Augen viel zu früh – auf und wir landen bei Dr. Unglaub, der Professorin für Kryptozoologie und Unterstützerin Akerets. Die Geschichte zerfasert daraufhin in belanglose Darstellungen ihrer zwischenmenschlichen Kontakte sowie rätselhafter Träume, in denen Unglaub sich selbst auf dem Boot ihres Schützlings wähnt.

Die psychologische Tiefenschärfe, mit der Maisel zuvor den zielstrebigen Forscher und seine analytischen Gedankengänge in den Fokus genommen hatte, verläuft sich urplötzlich im Nichts. So lässt Maisel die große Möglichkeit, den möglicherweise tödlichen Ausgang der Expedition in weiterhin schillernden Bildern zu phantasieren und die sowieso nicht faktenbasierten Ereignisse zu einem mystisch angehauchten Abenteuerroman auszubauen, am Ende leider ungenutzt verstreichen – dabei hätte ich diesen Mann so gerne weiter begleitet…

Lukas Maisel
Buch der geträumten Inseln
Rowohlt Verlag, 2020
Gebunden, 272 Seiten, 22 Euro

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