Wald
Im Wald

Into the Wild

Mick Kitson erzählt in „Sal“ die Geschichte von zwei mutigen Mädchen, die sich in den Wald der schottischen Highlands flüchten.

In letzter Zeit, habe ich das Gefühl, kommt immer mehr Befindlichkeitsliteratur auf den Markt oder solche Romane, bei denen man – selbst wenn man, wie ich, streng auf „Autor*in ungleich Erzähler*in“ geschult ist – nicht umhin kommt, eine Parallele zwischen Schriftsteller*in und Hauptfigur oder Handlung zu ziehen. Bei Mick Kitson liegt dieser Gedanke gleich von Anfang an fern: Er erzählt die Geschichte von „Sal“. Und Sal ist ein dreizehnjähriges Mädchen im Südwesten von Schottland, das gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Peppa in den Wald zieht.

Das klingt zunächst nach romantischer Mädchenphantasie (und ansatzweise trifft das auch zu), hat aber einen handfesten Grund: Die Mutter der Beiden ist schwere Alkoholikern, ihr Freund trinkt ebenfalls und vergeht sich im Rausch an der kleinen Sal. Als er ihr droht, sich demnächst auch an der elfjährigen Schwester zu schaffen zu machen, beginnt Sal, ihre Flucht zu planen: Monatelang studiert sie Bücher und Youtube-Videos mit Tipps für das Überleben in der Natur, bestellt mit Kreditkarten (die der Freund ihrer Mutter geklaut hat) eine komplette Ausrüstung für sich und Peppa. Es ist eine Notsituation, doch es erfüllt sie auch mit Stolz:

„Ich weiß viel über Survival, zum Beispiel, wie man Feuer macht und einen Unterschlupf baut, sich was zu essen fängt, Vogelfallen baut, Wasser filtert, Spuren liest und das Wetter beobachtet. […] Ich weiß gut über Bäume Bescheid und zielich gut über Pflanzen, vor allem über essbare.“

So strategisch, wie die Dreizehnjährige bei ihrer Flucht vorgeht, wird man beim Lesen etwas misstrauisch, begleitet Sal und Peppa dann aber mit klopfendem Herzen in den Wald nördlich von Glasgow, wo sie sich tief in den Wäldern einen wetterfesten Unterschlupf bauen. Wie lange sie hier leben und überleben wollen, wissen sie eigentlich nicht so genau; kurz steht das Experiment auf der Kippe, als Peppa von einem Hecht gebissen wird und sich die Wunde entzündet und Fieber auslöst.

Hänsel und Gretel?

Sal

Da kommt es gerade recht, dass ein paar Kilometer weiter eine Frau namens Ingrid wohnt: Sie lebt seit vielen Jahren alleine in einer Hütte und hat sich aus der Gesellschaft zurückgezogen, um über ihre Vergangenheit zu reflektieren. Einen Großteil davon hatte sie in der DDR verbracht, wo sie als Immunologin arbeitete, aber mit den Doktrinen des Staates nicht zurecht kam. Gegen Unrecht muss man sich auflehnen, darin stimmt sie mit den Mädchen überein. Und doch ist sich Sal nicht sicher, ob die geheimnisvolle Deutsche sie nicht doch verraten wird?

„Sal“ ist ein besonderer Roman: Mick Kitson gelingt es, den Überlebenswillen und Mut seiner dreizehnjährigen Protagonistin so zu beschreiben, dass man sich als Leser*in mit ihr verbündet, und Zuneigung sowie Verständnis entwickelt. Weil die komplette Geschichte auch aus der Perspektive des Mädchens beschrieben ist, taucht man – gewissermaßen in „einfacher“ Sprache“ – tief ein in ihre Gedanken, Ängste und Hoffnungen. So ist eine Mischung aus Coming-of-Age, Naturbeschreibung, Hänsel und Gretel entstanden – die einem äußerst mutigen Mädchen, das sich nicht die Zukunft klauen lassen will, eine Stimme gibt.

Mick Kitson
Sal
Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch
Kiepenheuer & Witsch, 2019
Gebunden, 352 Seiten, 20,- Euro

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert