
Der Wunsch nach Autarkie
Eine Frau zieht sich in die Natur zurück, um dort das Leben in einsamer Autarkie zu erproben: Doch im Roman „Das große Spiel“ von Céline Minard kommt es letztendlich anders.
„Ich mache, was ich will“, heißt es an einer Stelle des Romans von Céline Minard, der am 2. Februar in deutscher Übersetzung im Verlag Matthes & Seitz erscheint. Ich mache, was ich will – ein Satz, den man im kleinen oder auch im größeren Umfang umsetzen kann. Die Ich-Erzählerin in Das große Spiel will sich auf keine halbe Sachen einlassen, sie zieht gleich alle Register: In einer abgeschiedenen Gegend in den Bergen baut sich die Architektin eine Behausung aus glasfaserverstärktem Kunststoff, mit einem Panorama-Fenster für den Blick in den Abgrund.
Ihre Lebensröhre, in die sie sich zurückzieht für ein Experiment: Wie lebt es sich fernab der Gesellschaft, allein mit der kargen Natur, der man Wasser und Nahrung in mühsamer Arbeit abtrotzen muss? Ist der Rückzug in die vollständige Abgeschiedenheit und Autarkie eine notwendige Voraussetzung für den eigenen Seelenfrieden?
Austesten der Grenzen
Im Mittelpunkt ihres mutigen Versuchs am eigenen Leib steht nicht so sehr der Wunsch, im Einklang mit der Natur zu leben und diese in all ihren Facetten zu erleben – so wie es bei den Büchern des New Nature Writing der Fall ist – sondern um das Austesten der eigenen Grenzen. Sie vermisst ihre Umgebung, beobachtet und analysiert sich selbst, trainiert ihre Sinne und schläft im Freien.
In nüchternen Formulierungen beschreibt Céline Minard, wie die Protagonistin die sie umgebenden Berge erklettert, einen Gemüsegarten anlegt, philosophiert oder die Natur beobachtet. Zwischen all den glasklaren Sätzen finden sich Worte voller purer Schönheit:
[…] das ganze Stückchen hängende Prärie begann zu vibrieren. Die Gräser hoben den Kopf, das Rinnsal hob die Stimme, ich spürte Tausend kleine Bewegungen unsichtbarer Tiere, die das Gras erzittern ließen, winzige Flüge wurden gestartet.“

Sie ist sich selbst genug, ja sie möchte überhaupt keinen Kontakt mehr zu anderen Menschen, nur die Tiere der Bergwelt akzeptiert sie in friedlicher Koexistenz. Und dann ist da auf einmal jemand anders, eine seltsame Figur, ein Mönch, der in ihr sorgfältig abgestecktes Territorium eindringt und das Experiment ins Wanken bringt. Es beginnt ein Revierkampf, der an das Verhalten streitender Tiere erinnert. Aber kommt der Mensch wirklich ohne die Gesellschaft anderer Menschen aus?
Wie lässt sich Das große Spiel von Céline Minard einordnen? Ist es ein Roman, eine Naturerfahrung, ein philosophisches Gedankenspiel, das Tagebuch einer Einsiedlerin? Muss man überhaupt einordnen? Der Autorin, die in ihren Romanen gerne verschiedene Genres zu etwas völlig neuartigem vermischt, ist mit Das große Spiel ein Gedankenexperiment gelungen, auf dass man sich als Leser gleichzeitig mit der Erzählerin einlässt. Aus den nur 192 Seiten, von denen jede einzelne eine Wucht ist, strömt eine tiefgreifende Ruhe, die selbst das größte urbane Alltagsrauschen in ein sanftes Vogelzwitschern verwandelt.
Céline Minard
Das große Spiel
Aus dem Französischen von Nathalie Mälzer
Matthes & Seitz, 2018
Gebunden, 192 Seiten, 20,-€
ISBN: 978-3-95757-526-5
Bei Matthes & Seitz gibt es ein Interview mit der Autorin über ihren Roman
Und ich verweise auch gerne auf Rezensionen anderen Blogger: Auch Katharina Herrmann schreibt auf 54 books darüber, ebenso wie Constanze Matthes von Zeichen & Zeiten.


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