
Das Haus am Rand der Welt
Wenn die Wellen wild schäumen: Henry Beston schrieb mit „Das Haus am Rand der Welt“ einen Klassiker des „nature writing“. Zeit, die zauberhafte Naturbeschreibung wiederzuentdecken!
Wir schreiben das Jahr 1926, es ist die hektisch-überspannte und wild-verträumte Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Henry Beston, geboren 1888 im amerikanischen Massachusetts, entzieht sich dem Trubel und baut sich ein kleines Haus auf der Landzunge von Cape Cod. Zwei kleine Räume, nur mit dem nötigsten ausgestattet – allem voran etlichen Fenstern, die den Blick auf das Meer und die Dünen freigeben. Wann immer er Zeit hat, zieht er sich hierhin zurück. Und beschließt eines Tages, ein ganzes Jahr dort zu verbringen, um sich vollständig mit der Natur zu verbinden:
„Die heutige Welt krankt an einem Mangel an elementaren Dingen wie offenem Feuer, das vor einem knistert, Wasser, das aus dem Boden quillt, Luft, ja, selbst der Erde unter den Füßen. In meinem Reich aus Strand und Dünen waren solche elementaren Erscheinungen präsent und lebendig, und sie beschrieben einen Bogen, der den Rhythmus der Natur und des Jahres zu einem unvergleichlichen Schauspiel verband.“
Mit Einsamkeit, so schreibt er in seinen nach Jahreszeiten gegliederten Aufzeichnungen, habe er nie Probleme gehabt, deswegen störe ihn auch der Gedanke nicht, viel Zeit allein zu verbringen. Und abgesehen davon ist er – auch wenn es bis in den nächsten Ort einige Meilen durch die Dünen sind – gar nicht allein: Da sind die patrouillierenden Männer der Küstenwache, die alltäglich und -nächtlich sowie bei Wind und Wetter ihre Runden entlang des Meeres gehen und gelegentlich auf einen Kaffee in seiner kleinen Hütte einkehren.
Und da sind, noch interessanter für Beston, allerlei Tiere und Pflanzen: Stunden-, ja tagelang kann er die balzenden, nestbauenden und brütenden Vogelarten studieren, die in den verschiedenen Jahreszeiten auf Cape Cod leben, schaut dem emsigen Treiben der Insekten, der Mäuse und Stinktiere in den Dünen zu, beobachtet das Seegras im Wind und analysiert die unzähligen Gesichter von Welle und Brandung. Die Natur gleicht für ihn der Poesie:
„Nach meinem Dafürhalten wäre es ein großer Verlust, wenn wir diese Empfindsamkeit für den Lauf der Sonne verlören. Wenn alles gesagt ist, bleibt er das große Naturdrama, das uns am Leben erhält, und daran keine Freude, davor keine Ehrfurcht zu haben, daran nicht teilhaben zu wollen, heißt, sich der schöpferischen und poetischen Kraft der Natur zu verschließen.“
Doch die Natur mag in sich vielleicht harmonisch sein, doch harmlos ist sie nicht: Es wird gekämpft, um Nahrung und Nistplätze oder um den besten Brutpartner. Das Meer wirft seine Wellen unermüdlich gegen den Strand und mit ihnen von Menschen gemachte Schiffe, die kläglich und mit horrenden Verlusten auflaufen und leblose Körper hinterlassen. Werden Rochen oder Tigerhaie angespült, wirft Beston sie zurück in die Fluten – und kann den Lauf der Dinge dennoch nicht aufhalten. Wer in und mit der Natur leben möchte, der muss sich ihr fügen.

90 Jahre ist es her, dass Henry Beston in den Dünen wohnte. Seitdem hat sich einiges verändert oder ist das eingetreten, was der Autor bereits 1926 wusste: Die Natur ist in ihrer Vielfalt stark bedroht, es ist unsere Aufgabe, einzugreifen – und diesmal bitte auf schützende Art und Weise! Liest man Das Haus am Rand der Welt im Angesicht der derzeitigen Nachrichten um die Klimakatastrophe, kann einem gelegentlich das Herz vor Wut und Angst flattern – und doch geht deswegen nichts von der schlichten Poesie dieser eindringlichen Beobachtungen, die zu den Klassikern des im englischsprachigen Raum etablierten nature writing gehören und jetzt zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt wurden, verloren…
Henry Beston
Das Haus am Rand der Welt
Aus dem Amerikanischen von Rudolf Mast
mare Verlag, 2018
Gebunden, 224 Seiten, 32,- Euro

